Die kapitalistische Verwertung unseres Lebens
Manchmal sind Dinge so offensichtlich und alltäglich, dass sie genau deshalb unscheinbar und normal wirken; als wenn sie einfach nur hinzunehmen wären. Oft bedarf es aber nur einer einfachen Sensibilisierung um solche Dinge zu erkennen. Im folgenden Text geht es um ein solches Thema. Ein Thema, dass den meisten Menschen auf der Welt tagein, tagaus begegnet und ihre Lebensrealität mehr zu beeinflussen vermag, als irgendetwas anderes. Wir sprechen vom Kapitalismus: Einer Sache, die für die allermeisten Menschen so banal erscheint, dass es kaum wert ist, sie zu thematisieren.
Zu dicht dran – Zu weit weg?
Einerseits könnte man zwar meinen, dass zumindest politisch aktive Menschen des linken Spektrums eine gewisse Sensibilität für dieses Thema besitzen. Das sie sich an diesen alltäglichen Ungerechtigkeiten stoßen, die gesellschaftlichen Ungleichgewichte prinzipiell in Frage stellen und nicht konform gehen mit den sich tagtäglich wiederholenden Praktiken von Ausbeutung, Entrechtung und Abwertung. Das dies jedoch leider nur zu selten der Fall ist, zeigt ein in unseren Augen ein weit verbreitetes Desinteresse an genau jenen Themen, die über die klassische Feuerwehrpolitik des autonomen Antifaschismus hinausgehen. Zu oft werden bestehende Verhältnisse nicht hinterfragt. Zu selten und oberflächlich ist die Solidarität mit den oft existenziellen, sozialen Kämpfen der Lohnabhängigen und Marginalisierten. Zu selten werden Konzepte und Kämpfe für eine bessere Welt für alle offensiv und wahrnehmbar aufgegriffen.
Warum sollte es aber wichtig sein, sich eines scheinbar abstrakten Rahmens bewusst zu werden, wenn uns doch viel öfter ganz konkrete Probleme wie Nazis, die Stadtentwicklung oder schlechte Bedingungen an Arbeitsplätzen und Bildungseinrichtungen stören? Was bringt das schon, sich grundlegend mit DEM KAPITALISMUS zu beschäftigen? Reicht es nicht aus, wenn das irgendwelche TheoretikerInnen für uns machen?
Kapitalismus – Ein Rezept für alles
Hier liegt der Punkt: Es sind vor allem zwei Gründe, die wir uns verinnerlichen sollten: Zum einen stellt der Kapitalismus jenen gesellschaftlichen Rahmen dar, in dem wir uns alle bewegen. Wir sind ein Teil von ihm, er prägt uns, fordert uns heraus, umgibt uns und unsere Mitmenschen. Andererseits sind es kapitalistischen Prinzipien, die sich wie ein roter Faden durch nahezu alle Bereiche unseres Lebens ziehen. Sie sind allumfassend und tief in den meisten gesellschaftlichen Teilbereichen verwurzelt. Fast immer stellen sie die Grundlage dafür dar, wie Sachen organisiert, verteilt und geregelt werden. Man kann sie als universelle Kriterien betrachten, nach denen sich unser Alltag und Leben zu richten hat. Es sind genau diese Mechanismen, die Gewinner und Verlierer schaffen, Mieten in die Höhe schnellen lassen und zu Prozessen des Aussiebens in Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten führt.
Tagein Tagaus die gleiche Scheiße
Überall geht es darum, Abläufe noch ertragreicher zu machen. Das was ökonomische Vorteile mit sich bringt, wird oft dem eigentlich notwendigen vorgezogen. Es geht nicht darum, möglichst alle teilhaben zu lassen, sondern den größten finanziellen und wirtschaftlichen Nutzen aus den Dingen zu ziehen. Wahrscheinlich hast du es selbst schon bei der Wohnungssuche oder bei der Bewerbung um einen Studien- oder Ausbildungsplatz erlebt. Statt bezahlbaren Wohnraum in der Innenstadt für jene Menschen zu schaffen, die dort arbeiten, lernen und leben, werden stattdessen Hotels, Einkaufszentren und unbezahlbare Designerwohnungen verwirklicht. Die Projekte müssen sich primär finanziell lohnen, dann haben sie auch eine Chance. An den Wünschen und Bedürfnissen der allermeisten Menschen geht das aber meilenweit vorbei. Hier versagt die Politik der Parteien ganz grundsätzlich, egal ob es die SPD oder die Grünen sind; egal ob Bundes-, Landes- oder Kommunalebene. Vielmehr fungiert der Staat mit seinen Parteien und Gesetzen als Akteur, der den rechtlichen und organisatorischen Rahmen dafür schafft, dass auch alles so bleiben wie es jetzt ist. Im Mittelpunkt steht nicht der Anspruch, möglichst allen Menschen gleichermaßen einen gerechten und umfassenden Zugang zur Befriedigung ihrer allgemeinen und spezifischen Bedürfnisse zu ermöglichen. Zentral ist vielmehr die Verwertung und Verwaltung möglichst aller Teilbereiche unseres Lebens. Dieser Logik, die uns der Kapitalismus tagtäglich und überall entgegenschleudert passen wir uns jedoch auch an. Wir gehen zur Schule oder zur Uni, bemühen uns um gute Noten und sind auf den Lohn unserer Arbeit angewiesen wenn es darum geht die Miete zu bezahlen. Wir müssen im Supermarkt einkaufen und wollen am kulturellen Leben unserer Stadt teilnehmen. Niemand kann sich dem entziehen. Schließlich verspricht der Kapitalismus uns ja auch, dass wenn wir uns bemühen, es uns eigentlich an Nichts fehlen sollte. Diese prophezeiten Aufstiegschancen beflügeln einen Arbeits- und Leistungsethos. Die Erfolgs- und Leistungsgesellschaft fährt ihre Ellenbogen aus. Von Kindertagen an wird uns beigebracht, wie wir uns zu verhalten haben und dass wir unseres eigenen Glückes Schmied wären – ganz nach dem Motto: Ohne Fleiß kein Preis. Und wenn du es nicht geschafft hast, dann bist du selber schuld. Das diese Vorstellungen jedoch allenfalls eine Utopie darstellen, ist dir sicher bewusst. Die meisten Menschen verlieren jedoch. Wir bleiben alle TellerwäscherIn und werden nicht steinreich. Viele Fallen komplett hinten über und verlieren alles: Arbeit, Wohnung, Anschluss, Träume. Die Gesellschaft stempelt solche Menschen gerne als „Versager“, „Faule“ oder „Asoziale“. In einem solchen sozialen Klima haben Nazis leichtes Spiel. Ihre Argumentationen werden gehört und ihre Gewalt ruft bisweilen nur wenig Irritation hervor. Häufig bedienen sie sich jener Mechanismen der Ausgrenzung und Diskriminierung, die ohnehin schon existieren. Das Nazis mit ihren rassistischen, nationalistischen und sexistischen Ideen gut anknüpfen können und gehört werden, kommt nicht von ungefähr. Die Konflikte einer Leistungsgesellschaft, die um jeden Preis immer erfolgreicher werden will und sich gerne ihrer vermeintlichen „Schwächen“ entledigen möchte, bilden dabei ein ideales Fundament.
Her mit dem schönen Leben!
Streben wir also nach einem schönen Leben für alle, sind es also nicht nur Nazis, die es zu bekämpfen gilt. Wir sind dazu gezwungen uns auch mit jenen Ideen, Mechanismen und Akteuren auseinandersetzen, die unser Leben einer kapitalistischen Verwaltung unterwerfen. Denn es ist genau diese Logik kapitalistischer Verwertung, die uns das Leben schwer macht und uns daran hindert ein Leben zu führen, so wie wir es wollen und es für richtig erachten. Die große Kunst besteht also darin, zu erkennen, was es mit den Dingen auf sich hat, die sich tagtäglich wiederholen und wie sie sich zueinander verhalten; in welchem Zusammenhang sie stehen. Es ist nicht notwendig, für alles immer sofort einen Plan zu kennen, der von heute auf morgen alle Probleme löst. Du musst nicht immer gleich wissen, wie man ein spezielles Problem nun ganz genau angehen muss. Doch ist es allemal hilfreich, Kritik und Wünsche formulieren zu können. Glückt dir dieser Schritt, wird dir erst bewusst, auf was du heute eigentlich noch alles verzichtet musst. Dir sollte klar sein, dass eine grundlegende Auflösung der Widersprüche und Missstände nicht innerhalb dieses Systems erfolgen kann. Mindestlohn und Mitpreisbremse machen zwar das Leben für einige wenige erträglicher, doch ändert sich an den Mechanismen im Grunde nicht viel. Die kapitalistische Verwaltung unseres Lebens geht weiter, egal aus welchen Parteien sich die Regierungskoalition zusammensetzt oder ob es einen Mindestlohn gibt.