Antifa Kollektiv 964

[HRO] Rostocker Beteiligung bei neonazistischem Kampfsportseminar

Unter dem Motto „Leben ist Kampf“ trainierten am 13. Mai 2017 mehr als 40 Neonazis aus Mecklenburg-Vorpommern in einer augenscheinlichen Schuleinrichtung. Das Motto dürfte in Anlehnung an den 1937 erschienen Propaganda-Film der NSDAP „Alles Leben ist Kampf“ gewählt worden sein. Im Internet veröffentliche Fotos zeigen auch mehrere Personen aus Rostock und Bad Doberan, die an dem Internet-Projekt „Aktionsblog/NSR“ beteiligt sind. Neben dem Kampfsporterfahrenen David Mallow posieren Max Schuldt und Danny Brandt auf einem Foto zusammen mit dem Leiter des Seminars Dennis Niktin, selbst Kampfsportler, Trainer und Chef des in Russland beheimateten neonazistischen Kampfsportnetzwerks White Rex.

Neonazistische Kampfsport-Subkultur aus Russland

Das Label White Rex wurde 2008 in Moskau von Dennis Nikitin in Leben gerufen. In den Arbeitsbereich des Netzwerks fallen neben der Organisation von Kampfsportevents auch die Veranstaltung von Rechtsrock-Konzerten. Während MMA-Turniere wie „Spirit of the Warrior“, von denen es russlandweit bereits mehrere dutzend Veranstaltungen gab, zunächst noch überwiegend auf Amateur-Niveau stattfanden, ist White Rex spätestens seit 2013 mit dem Format „The Birth of A Nation“ im professionellen Kampfsportzirkus angekommen. Darüber hinaus vertreibt White Rex Kampfsportartikel sowie kampfsporttypische Bekleidung und tritt auch als Sponsor einzelner Athleten in Erscheinung, wie z.B. der russischen Kampfsportikone und Profi-MMA-Kämpferin Anastasia Yankova. Sehr offensichtlich nutzt White Rex szenetypische Codes wie 1488, 88 sowie stilisierte Wikinger, Ritter, Runen und offensichtliche Nazisymbole und macht damit seine ideologische Nähe zum Nationalsozialismus buchstäblich zur Marketingstrategie. Auch das Selbstverständnis lässt keine Fragen offen: Kampfsport und die individuelle körperliche Ertüchtigung werden als zentrale Elemente einer neuen völkischen Jugendbewegung betrachtet.

Während größere und mit namhaften Sponsoren wie Red Bull und Audi besetzte Veranstaltungen in Russland offiziell und regelmäßig stattfinden können (1), werden die Veranstaltungen im Ausland – u.a. der Ukraine, Deutschland und Italien – oftmals konspirativ vorbereitet und mit Hilfe lokaler Nazi-Strukturen durchgeführt. Besondere mediale Aufmerksamkeit erlangte White Rex als Mitorganisator des von Casa Pound initiierten Kampfsportturniers „Tana Tigri“ 2013 in Rom, an dem auch mindestens eine deutsche Delegation Neonazis um den damaligen JN Vorsitzenden Andy Knape teilnahm. Dies unterstreicht, dass White Rex heute nicht nur im professionellen Kampfsportbuisness verortet werden muss, sondern europaweit in führenden Nazistrukturen verankert und vernetzt ist.

Rostocker Beteiligung

David Mallow, Max Schuldt und Danny Brandt agieren zusammen mit Kevin Käthner als fester Bestandteil des Aktionsblog. Beschränkten sich die Aktivitäten des Aktionsblogs bis vor ein paar Monaten noch vornehmlich auf Propaganda und Mobilisierung, können seit geraumer Zeit auch Demoteilnahmen, landes- und bundesweite Netzwerktreffen sowie großflächige Plakatierungen beobachtet werden. Den Nordwesten Rostock proklamieren sie als „national befreite Zone“ – oder „Nazikiez“, wie sie es nennen. Die rassistische Mobilisierung im Sommer 2016 gegen Migrant*innen im Rostocker Stadtteil Groß Klein ist maßgeblich auf ihre Initiative zurückzuführen. Wenige Tage vor der ersten Belagerung eines Treffpunktes für u.a. unbegleitete geflüchtete Jugendliche durch RassistInnen verteilten sie Flyer und machten aus einem Treffpunkt einen „muslimischen Gebetsraum“. Im weiteren Verlauf intensivierte sich der Kontakt zwischen der Kameradschaft und der neu formierten Gruppe „Patrioten Rostock“ um Alexander Hennig und Doreen Zick. Zunehmend folgten auch gewalttätige Aktionen. Am Ende gewährte der Sozialsenator der Hansestadt Rostock den Gruppen den größten Erfolg, indem er veranlasste, dass die Kinder in anderen Stadtteilen untergebracht werden; einen Erfolg, den sich beide Gruppierungen später auch durch ihre stetige Präsenz bei Ortsbeiratssitzungen im Streit um die Einrichtung eines muslimischen Gebetsraumes im Rostocker Stadtteil Evershagen erhofften. Danny Brandt dürfte das jüngste Mitglied der Gruppierung sein, verbüßte er seit Anfang 2012 eine mehrjährige Haftstrafe wegen Körperverletzung, schweren Landfriedensbruch und Widerstand. Am Rande eines aufgelösten Konzertes hatte er Beamte unter anderem mit Bierflaschen, Bierzeltgarnituren und einem Feuerlöscher angegriffen. Seine Vorstrafen umfassen neben Fahren ohne Führerschein und Diebstahl mehrfach auch Körperverletzung. Der 1989 geborene Brandt zählte bereits vor seiner Haft zu den aktivsten Mitgliedern der Nationalen Sozialisten Rostock (NSR).

NPD und Pommernsturm

Neben den Genannten aus Rostock waren außerdem Neonazis aus Gnoien, Grimmen, Stralsund und Usedom und Zinnowitz anwesend. Im Nachgang veröffentliche die mindestens seit 4 Jahren aktive Kameradschaft „Pommern Sturm Usedom“ [PSU] ein Dankesschreiben bei Facebook und verwies auf das extrem rechte Kampfsportevent „Kampf der Nibelungen“, das im Oktober in Deutschland stattfinden soll. Aktivist der Kameradschaft und Teilnehmer des Kampfsportseminars Dietmar Speckin kokettiert im Internet mit den Hammerskins, einer international agierenden Gruppierung, die auch in Mecklenburg-Vorpommern aktiv ist. Zur Kommunalwahl 2014 kandidierte er für NPD für die Gemeindevertretung Heringsdorf. Auch sein damaliger Mitbewerber Enrico Hamisch ist auf den veröffentlichten Fotos zu erkennen.

Vernetzung und Aufrüstung in der lokalen Neonaziszene?

Auch in Rostock und anderen Städten Mecklenburg-Vorpommern trainieren Nazis Kampfsport und sind als Wettkämpfer fest in örtlichen Trainingsgruppen verankert. Dass es hierbei nicht ausschließlich um Sport gehen dürfte, ist wohl offensichtlich. Kampfsport eröffnet Neonazis die Möglichkeit, ihr menschenverachtendes Weltbild mit noch mehr Gewalt und Finesse auf die Straße tragen zu können. Es ist daher also nicht verwunderlich, dass auch lokale Nazis selbstständig Kampfsportseminare organisieren und besuchen. Dass es sich bei dieser Veranstaltung allerdings um mehr als ein Kampfsportseminar handelt, zeigen nicht zuletzt auch Posts und Grußworte, die eindeutig den Vernetzungscharakter dieses Treffens unterstreichen. So wurden neben herzlichen Grüßen auch regionale Spezialitäten wie Honig, Marmelade und Schwarz-Weiß-Rote Sturmhauben als Geschenke überbracht. Damit unterstreicht die Rostocker Neonaziszene um die ProtagonistInnen des Aktionsblogs nicht nur ihre Bereitschaft, Teil einer neuen völkischen Jugendbewegung sein zu wollen, sondern auch ihr Interesse und die Bereitschaft, sich europaweit mit anderen Nazis zu vernetzen.